Biodiversität als Lebensgrundlage – was kann die Finanzbranche beitragen?

Zahlreiche Studien kommen zu einem einheitlichen Ergebnis: Biodiversität und die damit verbundenen Ökosystemleistungen bilden unsere Lebensgrundlage. Doch die die öffentlichen und privaten Finanzströme sind auf eine voraussichtlich anhaltende Verschlechterung dieser Lebensgrundlage ausgerichtet. Das Globale Abkommen zur Biodiversität (COP in Montreal) ist ein wichtiger Schritt, dies zu ändern.

Auch Folgen für die Wirtschaft

Studien der OECD und der Niederländischen Zentralbank warnen, dass sich der Rückgang von Biodiversität und der damit verbundenen Ökosystemleistungen negativ auf die Performance von Finanzakteuren auswirken kann. Gleichzeitig bleibe das Risiko nahezu unberücksichtigt in Investmententscheidungen. Folglich wollen wir uns als FNG für ein erhöhtes Risikobewusstsein einsetzen und gleichzeitig Lösungsmöglichkeiten und sich ergebende Chancen hervorheben.

Naturverträgliche Transformation sollte ein Prüfpunkt für Kreditwürdigkeit und Investitionsfähigkeit sein.

Von Susanne Bergius, Finanzjournalistin und Referentin

"Investments, Kredite und Versicherungen sind nicht nur klimakompatibel zu machen, sondern auch „naturkompatibel“. Wer es nicht glaubt, schaue ins Globale Abkommen zur Biodiversität, auf das sich die Weltstaatengemeinschaft im Dezember 2022 verständigt hat. Finanzflüsse sind demnach gemäß der Ziele des Naturabkommens umzulenken. Einige internationale Finanzhäuser haben im „Finance for Biodiversity Pledge" zugesagt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Verlust der ökologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren.

Doch deutsche Finanzhäuser – von Ausnahmen abgesehen – fehlen bei dieser und anderen naturbezogenen Initiativen! Wo bleiben ihr Tatendrang, Lösungswille und Mut? Erkennen sie nicht, dass auch sie handeln müssen, weil die dramatischen Ökosystemzerstörungen eine existenzielle Gefahr für die Menschheit, die Wirtschaft und die Finanzsicherheit bedeutet?

Immerhin hat das nun endlich der International Sustainability Standards Board (ISSB) eingesehen und seine Strategie geändert: Er wird Biodiversität 2023 in seinen Berichtsstandard integrieren. Es besteht kein Zweifel daran: Naturverträgliche Transformation sollte ein Prüfpunkt für Kreditwürdigkeit und Investitionsfähigkeit sein. Zweiflern sei die Studie „Von Net Zero zu Nature Positive“ nahelegt, die erklärt, warum sich die deutsche Finanzbranche ebenfalls mit Biodiversität beschäftigen sollte."

Bereits auf dem FNG-Dialog im Juni 2022 hatte Susanne Bergius eindrücklich dargestellt, wie dringlich das Thema Biodiversität ist und aufgezeigt, dass vor allem die deutsche Finanzbranche im internationalen Vergleich Aufholbedarf hat (Video zur Aufzeichnung).

Risiken durch den Rückgang von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen?

Sowohl in der Realwirtschaft als auch in der Finanzwirtschaft werden Risiken durch den Rückgang von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen nur unzureichend berücksichtigt. Die Risiken können aufgeteilt werden in

  • Physikalische Risiken: wenn Biodiversitätsrisiken eintreten, können Vermögenswerte und Infrastrukturen beschädigt werden, es kann zu einer Beeinträchtigung von Lieferketten und Geschäftsabläufen führen.
  • Transitorische Risiken: Regulatorische, rechtliche, technologische und/oder marktbezogene Veränderungen bringen weitreichende Risiken. Nicht nur Reputationsrisiken sind hier aufzuführen. Verletzungen der zugrunde liegenden rechtlichen Rahmenbedingungen können beispielsweise zu Gerichtsverfahren führen. (oftmals als eigene Risikokategorie „Litigation Risk“ aufgeführt).
  • Systemische Risiken: Der Rückgang von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen gefährdet darüber hinaus die Stabilität des gesamten Finanzsystems.

Wie können Investor:innen der Herausforderung begegnen?

Finanzakteure sind zunehmend gewillt sich den Herausforderungen des Verlusts an Biodiversitäts- und Ökosystemleistungen zu stellen. Auch auf regulatorischer Ebene, innerhalb der Maßnahmen der Europäischen Sustainable Finance Strategie, werden Akteure der Real- und Finanzwirtschaft zunehmend gefordert, sich mit Biodiversität zu befassen. Ein Bericht der Weltbank beschreibt zwei Wege, über die private Finanzmittel für Natur und Biodiversität mobilisiert werden können.

Greening Finance: Sowohl für Akteure der Real- als auch Finanzwirtschaft ist eine systematische Erfassung und Standardisierung von Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen für ein angemessenes Risikomanagement von zentraler Bedeutung. Maßnahmen der Europäischen Sustainable Finance-Strategie wie die CSRD (ESRS 4 Exposure Draft) und SFDR (mandatory Principle Adverse Impact (PAI) indicator on biodiversity, indicator 7) fordern und fördern eine stärkere Berücksichtigung von Biodiversitätsrisiken.

Financing Green: Eine Vielzahl an Projekten und Unternehmen trägt zur Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen bei. Indem sie Finanzströme in solche Aktivitäten lenken, können nachhaltige Investoren nicht nur beachtliche finanzielle Erträge erzielen, sondern auch zur Erreichung verschiedener Nachhaltigkeitsziele beitragen. Im März letzten Jahres hat die Sustainable Finance Plattform einen Bericht mit technischen Bewertungskriterien für das 6. Taxonomie-Ziel zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und Ökosystemen veröffentlicht. Diese Schwellenwerte für das Ziel der Biodiversität sollen jetzt durch einen delegierten Rechtsakt umgesetzt werden. Damit entsteht ein Klassifizierungssystem, mit dem wir wirtschaftliche Aktivitäten identifizieren können, die zur Erhaltung unserer gemeinsamen Lebensgrundlage beitragen.

Einschätzung zur COP in Montreal

Von adelphi

In Montreal ist im Dezember  ein Durchbruch gelungen: Staaten haben sich auf der COP15 auf ein recht ambitioniertes Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt einigen können. Ein Ziel des Abkommens sieht vor, Unternehmen dazu zu verpflichten, über ihre Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu berichten und auch den Verbraucher:innen entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies ist eine ziemlich strenge Klausel, auch wenn das Wort „obligatorisch“ darin während der Verhandlungen gestrichen wurde und die Delegierten am Ende die Anforderungen auf Großunternehmen beschränkt haben. Allerdings müssen Unternehmen in der EU ohnehin in Zukunft die Wesentlichkeit ihrer Auswirkungen und ihre Abhängigkeiten von der Biodiversität ermitteln und darstellen, wenn sie nach der CSRD berichtspflichtig werden.

Überwachung, Bewertung und Offenlegung allein werden aber nicht ausreichen, um die negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu verringern. Die Aufnahme von Zielformulierungen, wie zum Beispiel „Halbierung der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt“, die im Entwurf bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgesehen war, wäre wichtig gewesen, um eine gewisse Orientierung für die Festlegung von Zielen und Maßnahmen zu bieten.

Zu begrüßen ist, dass der Überkonsum ausdrücklich erwähnt und als wichtiges Problem hervorgehoben wird. Allerdings fehlt ein klares Ziel. Lediglich der Verweis auf die Lebensmittelverschwendung setzt ein relatives Ziel und wiederholt die Zielvorgabe 12.3 der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs).

Insgesamt kommt das Endergebnis den Forderungen der „Make it Mandatory“-Kampagne von Business For Nature (BfN), einer globalen Koalition von Unternehmen und Naturschutzgruppen, relativ nahe. Die Kampagne forderte eine ehrgeizige Zielvereinbarung, welche die Offenlegung der Abhängigkeiten und Auswirkungen von Unternehmen auf die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen bis 2030 verbindlich vorschreibt. Der geforderte Ehrgeiz ist im Abschlussdokument erkennbar. Nun sind Unternehmen am Zug.

FNG-Mitglieder und Biodiversität: Was kann die Finanzbranche tun?

Wir erweitern die folgenden Beispiele fortlaufen. Wenn Sie FNG-Mitglied sind und Ihre Arbeit hier vorstellen möchten, wenden Sie sich bitte an mitglieder@forum-ng.org

Bank für Kirche und Caritas

Katholische Investoren fordern die brasilianische Regierung auf, das Amazonasgebiet und die Rechte der indigenen Bevölkerung besser zu schützen: Seit dem 29. März 2021 hat eine Gruppe von fast 100 katholischen Institutionen aus 18 Ländern unter der Leitung der Sonderkommission für integrale Ökologie und Bergbau der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB), des internationalen katholischen Netzwerks Laudato Si' Movement und der deutschen katholischen Bank für Kirche und Caritas (BKC) ein Engagement mit hochrangigen brasilianischen Regierungsvertretern und Beamten gestartet.

Das weltweit erste katholische Engagement dieser Größenordnung stellt klare Forderungen zum Schutz des Amazonasgebietes und der dort lebenden indigenen Bevölkerung. Die katholische 

Investorenallianz ist davon überzeugt, dass sie ihre Möglichkeiten als katholische Finanzmarktteilnehmer und Institutionen voll ausschöpfen und ihre "Stimme" erheben müssen, indem sie in einen Dialog mit der brasilianischen Regierung tritt. Eine ausführliche Beschreibung des Engagements findet sich hier.

GLS Gemeinschaftsbank

Biodiversität bedeutet Leben – für Organismen, Pflanzen, Tiere, Menschen. Durch Vergabe von Krediten kann jede Bank Biodiversität stärken –oder zu ihrem Verlust beitragen. Die GLS Bank schließt daher seit ihrer Gründung 1974 Branchen mit besonders negativem Einfluss auf die Artenvielfalt aus, zum Beispiel die konventionelle Landwirtschaft oder fossile Energien. Doch nur wer seine Wirkung kennt, kann diese steuern! In einem ersten Schritt hilft eine Hotspot-Analyse der finanzierten Branchen dabei, die Handlungsfelder zu priorisieren. Wir stellen dabei drei Leitfragen an, orientiert an den Erkenntnissen des Weltbiodiversitätsrats:

1) Wie wirken wir auf die Haupttreiber des Biodiversitätsverlusts?

2) Wie abhängig sind wir von erbrachten Ökosystemleistungen?

3) Welche systemischen Risiken bestehen?

In einem nächsten Schritt gilt es, die Leitfragen mit branchenindividuellen Indikatoren zu hinterlegen. Die gewonnen Erkenntnisse zeigen, welche Wirkung Finanzierungen auf die Biodiversität haben und welche Risiken sich in Zukunft aus dem Biodiversitätsverlust ergeben. Bestehende Konzepte zum Umgang mit Klimarisiken können hier angewandt werden, wie beispielsweise die Szenarioanalyse. Dabei orientieren wir uns an den Empfehlungen der TNFD, UNPRB, und sind Mitglied in der Finance for Biodiversity.

ISS ESG

Im Rahmen des Thematic Engagement Angebots moderiert ISS ESG im Namen teilnehmender Investoren einen Dialog mit 30 Unternehmen aus zwei Branchen, welche die Natur stark beeinflussen und/oder von ihr abhängig sind: Bergbau und Lebensmittelproduktion. Die Identifikation relevanter Unternehmen erfolgt mitunter durch das Biodiversity Impact Assessment Tool, welches die Auswirkungen von Unternehmen auf die biologische Vielfalt basierend auf Informationen zu Geschäftstätigkeiten, geographischer Lage und einer Lebenszyklusanalyse bewertet. Der Fortschritt und Erfolg des Engagements werden durch klar definierte Ziele zur Verbesserung der Transparenz gemessen. Beispielsweise werden für Bergbauunternehmen Strategien zum Management der biologischen Vielfalt sowie Bekenntnisse zu internationalen Konventionen zu Schutzgebieten mittels KPIs aus dem ISS ESG Corporate Rating systematisch geprüft und bewertet. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte unsere Webseite und wenden sich an einen Solutions Expert.

adelphi

Biodiversity Communication Toolkit: In einer Zielvereinbarung des in Montreal verabschiedeten Biodiversitätsrahmens werden die Staaten aufgefordert, „dafür zu sorgen, dass die Menschen ermutigt und in die Lage versetzt werden, nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen...“. Das Ziel richtet sich also auch direkt an Verbraucher:innen. Das ist von entscheidender Bedeutung. Aber wie können sie erreicht und für das Thema nachhaltiger Konsum sensibilisiert werden? Mit Kommunikationsaktivitäten und Informationsmaterialien, die verschiedenste Zielgruppen ansprechen. Um Multiplikator:innen bei diesen Aktivitäten und der Aufbereitung von Informationen zu unterstützen, hat adelphi das One Planet Network von UNEP bei der Entwicklung des Biodiversity Communication Toolkit unterstützt. Es zeigt auf, welche Veränderungen wir in unseren täglichen Entscheidungen vornehmen können, um schädliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren. Etwa indem wir Baumwollkleidung wiederverwenden und reparieren, anstatt etwas Neues zu kaufen, oder indem wir auf Umweltzeichen achten.

Initiativen zum Vernetzen

Wir möchten wir unser Netzwerk ermutigen, sich mit den entstehenden Initiativen zu vernetzen, an ihnen mitzuwirken und ein Teil der Bewegung zu werden. Hier möchten wir insbesondere auf folgende Initiativen aufmerksam machen:

Taskforce on Nature-related Financial Disclosures

Finance for Biodiversity

Partnership for Biodiversity Accounting Financials

Nature Action 100

Nature Finance

Hilfreiche Unterstützung wird darüber hinaus durch Nature Benchmark, ENCORE und LEAP FI ermöglicht. Für weitere Informationen siehe auch das CRIC Themendossier „Biodiversität und Sustainable Finance“.

 

Weiterführende Studien

Dasgupta, P. (2021): The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review

IPBES (2019): Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services

Niederländische Zentralbank (2020): Indebted to nature

OECD (2019): Biodiversity: Finance and the Economic and Business Case for Action

PWC, WWF (2020): Nature is too big to fail

PWC, WWF (2022): Von Net Zero zu Nature Positive – warum sich der deutsche Finanzsektor mit Biodiversität beschäftigen sollte

Wildner, T.M., Förster, J., Hansjürgens, B. (2022)  (im Auftrag des NABU): Sustainable Finance – Die Berücksichtigung von Biodiversität und Ökosystemleistungen

Wissenschaftsplattform Sustainable Finance (2023): Zusammenfassung und Materialien zur Veranstaltung: Neue globale Ziele für Biodiversität: Welche Rollen spielen der Finanzsektor, Offenlegung und Sorgfaltspflichten?

Worldbank (2020): Unlocking Private Finance for Nature